Die Forschung holt auf – und du kannst Teil davon sein
Hundeverhalten war lange Zeit geprägt von Halbwissen, Mythen und veralteten Theorien. Doch in den letzten Jahren hat die Wissenschaft kräftig aufgeholt. Studien aus dem Clever Dog Lab (Vetmeduni Wien), dem Family Dog Project (Budapest) und weiteren Forschungseinrichtungen liefern wichtige Erkenntnisse darüber, wie Hunde denken, fühlen und lernen.
Das Besondere: Viele dieser Studien finden mit ganz normalen Familienhunden statt – nicht im Labor. Das heißt: Du kannst mit deinem Hund mitmachen und die Forschung aktiv unterstützen. Die Teilnahme ist meist spielerisch, freiwillig und findet in einer entspannten Umgebung statt.
🧠 1. Kognitive Persönlichkeitsprofile
Land/Stadt: Finnland, Helsinki
Teilnehmer: 987 Hunde verschiedenster Rassen
Fragestellung/Titel: Welche Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen die Lernfähigkeit?
Versuchsaufbau: Hunde sollten eine Belohnung aus einem Behälter holen. Dabei wurde u. a. getestet, wie impulsiv sie reagieren, wie lange sie selbstständig arbeiten und wann sie
Hilfe vom Menschen suchen.
Erkenntnis/Ergebnis: Hunde mit hoher Impulskontrolle und starker Mensch-Orientierung zeigten bessere Trainierbarkeit. Impulsive Hunde waren kreativer, aber schwerer steuerbar.
Trainingsanwendung: Ruhigere Hunde profitieren von klarer Struktur und ruhigem Aufbau. Impulsive Hunde brauchen kleinschrittiges Training, Abwechslung und ein gutes Frustrationstraining.
🔤 2. Wortverstehen bei Hunden
Land/Stadt: Ungarn, Budapest
Teilnehmer: 18 Familienhunde
Fragestellung/Titel: Können Hunde bekannte Wörter vom Klang her unterscheiden?
Versuchsaufbau: Die Hunde hörten bekannte Wörter (z. B. „Ball“) und ähnlich klingende Nonsenswörter („Bamm“). Die Gehirnaktivität wurde mit EEG gemessen.
Erkenntnis/Ergebnis: Hunde zeigen unterschiedliche Hirnreaktionen auf bekannte vs. unbekannte Wörter. Sie hören also nicht nur den Tonfall – sie verarbeiten die Bedeutung.
Trainingsanwendung: Verwende konsequent gleiche Wörter. Vermeide Variationen wie „Sitz“, „Setz dich“ und „Mach Platz“ für dieselbe Handlung – das verwirrt deinen Hund.
🧸 3. Langzeitgedächtnis für Wörter
Land/Stadt: Ungarn, Budapest
Teilnehmer: 5 Hunde mit gezieltem Wortlerntraining
Fragestellung/Titel: Wie gut können sich Hunde Wörter über lange Zeit merken?
Versuchsaufbau: Die Hunde lernten Namen von 12 Spielzeugen. Nach zwei Jahren wurden sie erneut getestet.
Erkenntnis/Ergebnis: Hunde erinnerten sich im Schnitt an 5 von 12 Objekten – deutlich über Zufallsniveau.
Trainingsanwendung: Wiederhole wichtige Signale regelmäßig. Nutze benannte Objekte im Spiel („Hol den Fuchs!“), um das Wortverständnis zu festigen.
👵 4. Lernverhalten im Alter
Land/Stadt: Österreich, Wien (Clever Dog Lab)
Teilnehmer: 119 Hunde im Alter von 6 Monaten bis 15 Jahren
Fragestellung/Titel: Lernen ältere Hunde langsamer oder schlechter?
Versuchsaufbau: Hunde sollten lernen, auf ein bestimmtes Symbol zu reagieren. Lernzeit und Fehlerquote wurden verglichen.
Erkenntnis/Ergebnis: Jüngere Hunde lernten schneller – aber alle Hunde zeigten Lernerfolge, unabhängig vom Alter.
Trainingsanwendung: Auch ältere Hunde können Neues lernen. Plane mehr Wiederholungen ein, arbeite in kurzen Einheiten und mit klarer Belohnung.
🤯 5. Überimitation: Hunde kopieren auch Unnötiges
Land/Stadt: Österreich, Wien (Clever Dog Lab)
Teilnehmer: 60 Hunde
Fragestellung/Titel: Kopieren Hunde auch unsinnige Handlungen?
Versuchsaufbau: Menschen falteten Papier oder berührten Gegenstände, bevor sie einen Hebel betätigten. Hunde sahen das und durften dann selbst agieren.
Erkenntnis/Ergebnis: Viele Hunde imitierten auch die irrelevanten Handlungen – aber nur bei vertrauten Bezugspersonen.
Trainingsanwendung: Hunde beobachten und übernehmen unser Verhalten – auch unbewusst. Achte also auf deine Körpersprache und Handlungen im Alltag.
🤝 6. Kooperationsfähigkeit mit Menschen
Land/Stadt: Ungarn und Österreich
Teilnehmer: Über 100 Hunde in verschiedenen Versuchen
Fragestellung/Titel: Können Hunde mit Menschen gemeinsam Probleme lösen?
Versuchsaufbau: Zwei Teilnehmer mussten gleichzeitig an einer Schnur ziehen, um an Futter zu kommen. Hunde arbeiteten mit Artgenossen oder Menschen zusammen.
Erkenntnis/Ergebnis: Hunde lernen Kooperation – besonders gut mit vertrauten Menschen.
Trainingsanwendung: Fördere gemeinsames Handeln: z. B. beim Medical Training, Anziehen von Equipment oder beim „Gemeinsam“-Signal (z. B. „Wir gehen langsam“).
😰 7. Emotionale Ansteckung durch Stress
Land/Stadt: Großbritannien, Bristol
Teilnehmer: 40 Hunde + Bezugspersonen
Fragestellung/Titel: Spüren Hunde, wenn Menschen gestresst sind?
Versuchsaufbau: Menschen lösten unter Stress Aufgaben, bevor und nachher wurden Schweißproben genommen. Diese wurden Hunden gezeigt, ihr Verhalten gefilmt.
Erkenntnis/Ergebnis: Hunde reagierten auf Stressgeruch mit Meideverhalten und Unsicherheit – teils sogar pessimistischem Entscheidungsverhalten.
Trainingsanwendung: Trainiere nicht, wenn du gestresst bist. Mach stattdessen kurze Pausen oder wähle ruhige Routinen. Dein Hund spürt deine Emotionen intensiver, als du denkst.
Was die Forschung uns für den Alltag lehrt
Diese Studien zeigen eindrucksvoll, dass Hunde keine Maschinen sind, sondern hochsoziale, lernfähige Lebewesen – mit Gefühlen, individuellen Persönlichkeitsmerkmalen und einem feinen Gespür für ihre Umwelt. Für das Hundetraining und die Hundehaltung bedeutet das, dass wir deutlich individueller und bewusster mit unseren Hunden arbeiten sollten.
Jeder Hund bringt andere Voraussetzungen mit: Ein impulsiver Junghund mit viel Selbstvertrauen braucht andere Trainingsimpulse als ein sensibler, zurückhaltender Senior. Die Persönlichkeit des Hundes, seine Fähigkeit zur Impulskontrolle und sein Umgang mit Frustration spielen eine große Rolle für den Lernerfolg. Deshalb ist es wichtig, auf den jeweiligen Hund abgestimmte Trainingsmethoden zu wählen.
Auch die Sprache, die wir verwenden, hat mehr Bedeutung, als viele denken. Studien belegen, dass Hunde Wörter nicht nur am Klang, sondern auch an ihrer Bedeutung unterscheiden. Wer ständig zwischen ähnlichen Begriffen wechselt, verwirrt seinen Hund. Klare, konsistente Sprache ist also ein zentraler Baustein für erfolgreiches Training.
Erfreulicherweise zeigen neue Erkenntnisse auch: Hunde lernen ein Leben lang. Selbst ältere Hunde können neue Verhaltensweisen erlernen – wenn man ihr Tempo berücksichtigt und sie nicht überfordert. Kurze, gut strukturierte Trainingseinheiten mit positiver Verstärkung sind dafür besonders geeignet.
Ein weiterer zentraler Punkt ist unser eigenes Verhalten. Hunde beobachten uns sehr genau und imitieren häufig – selbst unnötige Handlungen –, besonders wenn sie eine enge Bindung zu uns haben. Das zeigt, wie wichtig unser eigenes Auftreten und unsere Körpersprache im Alltag sind. Stress, Hektik oder Unsicherheit übertragen sich schnell auf den Hund – emotional und sogar körperlich. Wer also mit seinem Hund trainiert, sollte auch den eigenen Gemütszustand reflektieren. Es lohnt sich, Trainingseinheiten zu verschieben oder ruhige Routinen zu bevorzugen, wenn man selbst angespannt ist.
Besonders wertvoll ist der wissenschaftlich belegte Ansatz der Kooperation. Hunde sind bereit zur Zusammenarbeit, wenn man ihnen Mitbestimmung ermöglicht. Kooperationssignale, wie das freiwillige Ablegen des Kinns zur Pflege, stärken das Vertrauen und sorgen für stressfreieres Handling.
Zusammengefasst zeigen die Erkenntnisse der letzten Jahre deutlich: Ein modernes, beziehungsorientiertes Hundetraining profitiert enorm von der Wissenschaft – wenn wir bereit sind, genau hinzusehen, zuzuhören und individuell auf unsere Hunde einzugehen. Wer nicht nur Verhalten formen, sondern seinen Hund verstehen und begleiten will, findet in diesen Studien wertvolle Anregungen für ein respektvolles und effektives Miteinander.