Viele Hundehalter sind überrascht, wenn sie hören, dass auch Hunde „mobbingähnliches“ Verhalten zeigen können. Oft wird es verharmlost: „Die klären das schon“ oder „Die müssen das unter sich ausmachen“. Doch so einfach ist es nicht. Mobbing unter Hunden hat klare Ursachen und kann gravierende Folgen haben – für das Verhalten, das Wohlbefinden und die sozialen Fähigkeiten des Hundes.
Ein entscheidender Punkt dabei: Mobbing beginnt da, wo Sozialisation aufhört.
Was Sozialisation wirklich bedeutet
Unter Sozialisation verstehen viele Hundehalter in erster Linie Hundekontakte. Doch Sozialisation ist viel mehr als das. Sie umfasst alle Erfahrungen, die ein Hund in seiner Welpen- und Junghundezeit macht:
- Begegnungen mit verschiedenen Menschen (Kinder, Senioren, Menschen mit Hut, Bart, Regenschirm usw.)
- Eindrücke in unterschiedlichen Situationen und Orten (Stadt, Land, Bahnhof, Park, Einkaufsstraße)
- Geräusche, Umweltreize und natürlich auch andere Tiere
Gerade der Kontakt zu anderen Hunden sollte möglichst vielfältig gestaltet sein. Denn Hunde „mögen“ und akzeptieren im Erwachsenenalter vor allem das, was sie in ihrer Jugend positiv kennengelernt haben.
Hundebegegnungen: Vielfalt statt Einseitigkeit
Bei Hundekontakten reicht es nicht, den Welpen nur mit gleichaltrigen Artgenossen oder Vertretern der eigenen Rasse spielen zu lassen. Ein gesunder Erfahrungsschatz entsteht erst, wenn der Hund Hunde aller Größen, Rassen und Altersklassen trifft.
Warum ist das so wichtig? Hunde sprechen dieselbe Sprache – aber mit unterschiedlichen Dialekten. Ein Chihuahua mit Ringelrute, ein Mops mit kurzer Nase oder eine Dogge mit langem Körperbau wirken völlig verschieden in ihrer Körpersprache. Folgende Unterschiede prägen die Kommunikation:
- Kurze oder lange Schnauze
- Schlappohren oder Stehohren
- Kurzhaar, Langhaar oder Fell im Gesicht, das Mimik verdeckt
- Deutliche oder eingeschränkte Gesichtsmimik
- Unterschiedliche Körpergrößen und Bewegungsstile
- Unterschiedliche Rutenstellungen (lang, kurz, Ringelrute, Stehrute, kupiert)
Je mehr Vielfalt ein Welpe erlebt, desto sicherer kann er im Erwachsenenalter kommunizieren. Das bedeutet nicht, dass er automatisch alle Hunde mögen wird. Aber er wird in der Lage sein, Konflikte zu vermeiden und Situationen souverän zu regeln.
Wenn Vielfalt fehlt – die Folgen mangelnder Sozialisation
Lernt ein Hund bestimmte Erscheinungsbilder, Bewegungsarten oder Kommunikationsweisen nicht kennen, kann er im Erwachsenenalter überfordert reagieren. Typische Reaktionen sind:
- Flucht
- Angriff
- Erstarren (Freeze)
- Überspielen durch übertriebenes Verhalten (Fiddeln)
Im Extremfall führt mangelnde Sozialisation dazu, dass Hunde nur mit Vertretern der eigenen Rasse zurechtkommen. Besonders häufig sehe ich das in meiner Arbeit bei kleinen Rassen wie Chihuahua, Yorkshire Terrier, Mops, Französische Bulldogge oder Zwergpudel.
Ein Beispiel: Eine Mops-Halterin traf sich fast ausschließlich mit anderen Möpsen, weil sie meinte, diese hätten alle einen ähnlichen Charakter. Ihr Hund kam dadurch überhaupt nicht mit größeren Hunden klar – und schon gar nicht mit langhaarigen. Im Training hat es viel Zeit gebraucht, damit er nicht sofort aggressiv auf fremde Hunde reagiert. Durch viele Spaziergänge auf Abstand mit ganz unterschiedlichen Artgenossen konnte er lernen, seine „Kommunikationsvielfalt“ zu erweitern. Ganz ohne Unsicherheiten blieb es trotzdem nicht.
Auch bei Chihuahua- und Yorkshire-Terrier-Haltern sehe ich oft das gleiche Muster: Die Hunde treffen nur andere Kleinhunde unter 5 kg. Große Hunde wirken dadurch unheimlich und bedrohlich, und viele Kleine entscheiden sich dann für Angriff als beste Verteidigung. Natürlich müssen Besitzer kleiner Hunde darauf achten, dass ihre Tiere nicht unter die Pfoten eines Großen geraten – genauso wichtig ist es aber, dass große Hunde lernen, zärtlicher und respektvoller mit Kleinen umzugehen.
Kommunikation geht in beide Richtungen
Auch große Hunde profitieren enorm von einer breiten Sozialisation. Meine eigenen Hunde, beide über 50 kg, haben gelernt, dass auch kleine Hunde deutlich kommunizieren – und dass ihre Grenzen ebenso ernst zu nehmen sind wie die von Großen. Wenn ein kleiner Hund quietscht, weil er Angst hat oder überfordert ist, bauen sie sofort Distanz auf. Junge oder sehr wilde Hunde schaffen das oft nicht von allein – hier müssen die Halter eingreifen und anleiten.
Von Schäferhund-Besitzern höre ich dagegen häufig: „Mit großen Hunden kommt er super klar, aber mit so Kleinen geht gar nicht – die sind immer aufgedreht und kläffen nur.“ Nicht selten haben solche großen Hunde auch schlechte Erfahrungen gemacht, weil sie von einem Kleinhund gezwickt wurden. Das hinterlässt negative Verknüpfungen, die später in aggressivem Abwehrverhalten münden können.
Ein Vergleich aus unserer Welt
Wir Menschen sind da gar nicht so anders. Im Urlaub suchen viele Österreicher oder Deutsche gerne den Kontakt zu Landsleuten. Warum? Weil es keine Sprachbarriere gibt, weil wir das Bekannte bevorzugen und uns sicher fühlen. Das heißt nicht, dass wir andere Nationalitäten nicht mögen – aber die Hemmschwelle, mit etwas völlig Unbekanntem umzugehen, ist höher.
Stell dir vor, dir kommt im Urlaub ein Mensch mit grüner Haut entgegen. Wie würdest du reagieren? Wahrscheinlich wärst du im ersten Moment überrascht oder sogar skeptisch. Wenn dieser Mensch dann
noch eine Sprache spricht, die du gar nicht verstehst, und sich auf eine dir völlig fremde Art bewegt und gestikuliert – würdest du dich unsicher fühlen.
Genau das passiert auch Hunden, wenn sie mit Artgenossen konfrontiert werden, deren Körpersprache ihnen unbekannt ist. Kampf, Flucht, Erstarren oder Überspielen sind dann die logischen
Reaktionen.
Wann beginnt Mobbing?
Mobbing entsteht oft aus Unsicherheit und fehlender sozialer Kompetenz. Hunde, die sich im Umgang mit fremden Artgenossen überfordert fühlen, reagieren nicht selten mit Aggression oder dominanzähnlichem Verhalten.
Typische Anzeichen von Mobbing unter Hunden:
- Ein Hund fixiert oder bedrängt einen anderen dauerhaft
- Wiederholtes Anrempeln, Aufreiten oder Verfolgen
- Der bedrängte Hund kann sich nicht entziehen und wirkt gestresst oder eingeschüchtert
- Das Verhalten wiederholt sich auch in unterschiedlichen Situationen und mit verschiedenen Hunden
Das ist kein normales „Spielen“, sondern kann für den betroffenen Hund zu einem massiven Stressfaktor werden.
Verantwortung der Halter
Als Hundehalter ist es unsere Aufgabe, frühzeitig für eine breite Sozialisation zu sorgen und unseren Hund durch Begegnungen zu begleiten. Es reicht nicht, Hunde „machen zu lassen“. Gerade Welpen und Junghunde brauchen unsere Unterstützung, um Erfahrungen einzuordnen.
Gute Hundekontakte zeichnen sich dadurch aus, dass beide Hunde freiwillig und entspannt in die Interaktion gehen – und dass es Pausen gibt. Ungleichgewichte, wie wenn ein Hund permanent bedrängt oder eingeschüchtert wird, sollten wir unterbrechen.
Trainingstipps für den Alltag
- Vielfalt fördern: Schon im Welpenalter verschiedene Rassen, Größen und Temperamente kennenlernen lassen.
- Begegnungen begleiten: Als Halter eingreifen, wenn ein Hund bedrängt wird – so lernt der eigene Hund, dass er sich auf die Unterstützung seines Menschen verlassen kann.
- Körpersprache beobachten: Stresssignale wie Ausweichen, Lecken über die Lefzen oder eingefrorenes Stehen ernst nehmen.
- Positive Erfahrungen schaffen: Kontakte gezielt mit souveränen, sozialen Hunden gestalten, statt nur „irgendwelche“ Begegnungen zuzulassen.
- Grenzen wahren: Wenn ein Hund überfordert ist, lieber abbrechen – Zwang erzeugt eher Abwehr als Lernerfolg.
Fazit
Mobbing unter Hunden ist kein „normales Klären“, sondern ein ernstzunehmendes Problem. Es entsteht fast immer aus Unsicherheit und mangelnder Sozialisation. Je vielfältiger die Erfahrungen im Welpen- und Junghundealter sind, desto sicherer können Hunde später kommunizieren.
Ein Hund, der gelernt hat, dass andere Hunde unterschiedlich aussehen, sich unterschiedlich bewegen und dennoch friedlich interagieren können, ist im Erwachsenenalter weniger anfällig für Überforderung oder Aggression.
Als Halter tragen wir Verantwortung: Wir entscheiden, ob unser Hund mit einer engen oder breiten sozialen „Brille“ durchs Leben geht. Und wir können viel dazu beitragen, dass Begegnungen friedlich verlaufen – durch gute Sozialisation, durch bewusstes Training und durch unsere Unterstützung in schwierigen Momenten.