mehr als nur "nicht ziehen"
Leinenführigkeit – eines dieser Themen, das fast jeder Hundebesitzer kennt, aber kaum jemand wirklich durchblickt.
Für viele bedeutet es einfach: „Mein Hund zieht nicht.“
Doch wer einmal mit einem jungen, aufgeregten oder unsicheren Hund unterwegs war, weiß, dass „nicht ziehen“ ein ganzer Trainingsprozess ist – und nichts, das über Nacht funktioniert.
Ich erkläre es oft so: Leinenführigkeit ist kein Kommando, sondern ein Gefühl.
Ein gutes Zusammenspiel zwischen Mensch und Hund – über eine einfache Leine verbunden.
Und genau da beginnt der Unterschied zwischen „an der Leine gehen“ und „miteinander gehen“.
Was bedeutet Leinenführigkeit?
Es gibt ganz verschiedene Vorstellungen davon, was „Leinenführigkeit“ heißt:
- Der Hund geht im Leinenradius, ohne Zug auf der Leine.
- Der Hund läuft nur hinter mir (Raumverwaltung).
- Der Hund geht nur auf einer bestimmten Seite – links oder rechts.
- Der Hund hat ständigen Blickkontakt zu mir – also das klassische „bei Fuß“.
Für mich bedeutet Leinenführigkeit, dass der Hund die Leine und ihren Radius verstanden hat.
Egal ob 2-Meter-Leine, Schleppleine oder Flexileine – der Hund weiß: So weit darf ich gehen, ohne dass es zieht.
Und ja – ich verteufle Flexileinen nicht!
Wenn ein Hund verstanden hat, was Leinenführigkeit heißt, kann er auch an der Flexileine ruhig und entspannt gehen.
Problematisch wird sie nur bei Hunden, die noch gar nicht verstanden haben, was Leinenführigkeit bedeutet.
Denn da lernt der Hund: Je mehr ich ziehe, desto weiter komme ich.
Und genau das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen.
Ein leinenführiger Hund weiß: Entspannte Leine = Freiheit.
Er fragt nach, bevor er zu einer spannenden Stelle zieht.
Er geht aufmerksam, ohne ständig zu zerren.
Und der Mensch? Der redet mit ihm: „Warte“, „weiter“, „rechts lang“.
Denn eine Leine ist kein Werkzeug, um zu ziehen, sondern um zu verbinden.
Gründe für schlechte Leinenführigkeit
Wenn ein Hund zieht, steckt selten reine Ungehorsamkeit dahinter. Meist gibt es gute Gründe:
- Er kennt die Leine gar nicht. Vor allem Tierschutzhunde haben nie gelernt, dass Zug zum Stillstand führt.
- Er ist aufgeregt. Die Nase ist schneller als der Kopf. Und weil Ziehen ihn oft ans Ziel bringt, funktioniert’s – für ihn.
- Er braucht Distanz. Viele Hunde ziehen weg, weil sie Unsicherheit spüren – sei es wegen anderer Hunde oder Menschen.
- Der Mensch ist unsicher. Wer selbst unruhig ist, überträgt das. Hunde orientieren sich an stabiler Energie – fehlt die, übernehmen sie.
- Fehlende Auslastung. Körperlich oder mental unausgelastete Hunde sind beim Spaziergang oft „über dem Limit“.
Und dann gibt’s noch den Klassiker:
„Er geht eh entspannt, wenn nichts ist!“
Ja, das tut er – weil keine Reize da sind, die ihn herausfordern. Aber Leinenführigkeit heißt, dass es auch funktioniert, wenn etwas ist.
Leinenführigkeit ist daher kein Grundproblem, sondern meist ein Symptom.
Ist der Hund gestresst, überfordert oder unsicher, spiegelt sich das in der Leine wider.
Häufige Missverständnisse und gängige Trainingsmethoden
1. Stehenbleiben bei Zug
„Wenn der Hund zieht, bleib stehen!“
Theoretisch richtig – praktisch oft frustrierend.
Denn was passiert? Der Hund zieht, du bleibst stehen. Der Hund dreht sich um, kommt zurück, die Leine ist locker – und beim nächsten spannenden Geruch geht’s wieder los.
So entsteht ein Hin-und-Her-Spiel ohne klare Aussage.
Richtig umgesetzt funktioniert das Prinzip nur, wenn du Timing, Geduld und Konsequenz hast.
Aber: Für viele Hunde ist Stillstand einfach langweilig oder stressig. Sie wissen nicht, warum nichts passiert. Besser ist es, die Aufmerksamkeit aktiv zurückzuholen und dann bewusstes
Weitergehen zu belohnen.
2. Richtungswechsel
„Zieht der Hund – dreh um!“
Der Gedanke: Der Hund merkt, dass Ziehen nicht zum Ziel führt.
In Wirklichkeit passiert Folgendes: Der Mensch holt Schwung, dreht abrupt, und der Hund bekommt einen Ruck, weil die Leine plötzlich blockiert.
Das sorgt weder für Vertrauen noch für Orientierung.
Viele Hunde werden so unsicher, manche hektisch – und das Ergebnis ist ein Hund, der seinen Menschen misstrauisch im Blick behält, weil er jederzeit mit einem Richtungswechsel rechnet.
Ein einzelner Richtungswechsel kann sinnvoll sein – z. B. als kleine Übung, um Aufmerksamkeit zurückzuholen. Aber dafür braucht es Feingefühl und gutes Timing.
3. Leinenruck
Der Leinenruck soll dem Hund beibringen: Zieh nicht, sonst tut’s weh.
Das Problem: Um überhaupt rucken zu können, muss die Leine vorher locker sein – damit der Mensch Schwung holen kann.
Viele Hunde spüren diesen Moment, bevor der Ruck kommt – und ziehen dann noch stärker, um dem unangenehmen Gefühl zuvorzukommen.
Einige Hunde werden ängstlich, andere stumpfen ab. Und kein einziger lernt, was er stattdessen tun soll.
Das Ergebnis: Frust auf beiden Seiten – und eine Leine, die zum Konflikt wird statt zur Kommunikation.
4. Unterscheidung Halsband – Brustgeschirr
Eine weit verbreitete Idee:
„Am Halsband soll er schön gehen, am Brustgeschirr darf er ziehen.“
Das funktioniert tatsächlich oft – der Hund unterscheidet zwischen den beiden Ausrüstungen.
Aber: Das Grundproblem bleibt.
Denn der Hund lernt zwar, wann er ziehen darf, aber er zieht eben trotzdem – und das merkt man als Mensch spätestens in der Schulter.
Außerdem entsteht häufig Verwirrung: Am Halsband ist der Hund gebremst, am Brustgeschirr darf er Gas geben – das führt zu zwei völlig unterschiedlichen Bewegungsmustern.
Ich arbeite daher grundsätzlich mit Brustgeschirr, weil es körperlich sicherer und klarer in der Kommunikation ist.
Mein Ansatz
Ich arbeite nie mit Leinenruck, sondern mit Verständnis, Struktur und Kommunikation.
Der Hund trägt ein Brustgeschirr, weil Zug so auf den Brustkorb verteilt wird – nicht auf Hals oder Wirbelsäule.
Ein wichtiger Bestandteil ist die Umweltbelohnung:
Geht der Hund locker, darf er schnüffeln oder sich ein Ziel suchen.
Zieht er, kommt er nicht ans Ziel und wird freundlich, aber konsequent gestoppt.
Nimmt er sich zurück, darf er weiter. Leinenführigkeit ganz ohne Leckerli.
So wird das Verhalten („Leine locker halten“) zur Eintrittskarte für das, was er möchte: schnüffeln, vorgehen, sich bewegen.
Ein weiterer Baustein ist die Ansprechbarkeit.
Ein Hund, der gelernt hat, auf seinen Menschen zu achten, bevor er loszieht, kann auch unter Reizen ruhig bleiben.
Doppelleine – zwei Punkte, ein Ziel
Ich nutze bei manchen Hunden eine Doppelführung – also eine Leine, die beim Brustgeschirr vorne am Brustring und hinten am Rückenring eingehakt ist.
Das hat klare Vorteile:
- Der Zug verteilt sich gleichmäßig auf den Körper.
- Ich habe bessere Kontrolle, wenn der Hund zieht.
- Der Hund spürt, dass keine Richtung Erfolg bringt, sobald er Zug aufbaut.
Aber es gibt auch Nachteile:
- Etwas mehr Koordination nötig.
- Für feinfühliges Training kann die Doppelführung zu „viel Kontrolle“ vermitteln.
Daher nutze ich sie nur vorübergehend, bis Hund und Mensch die Balance gefunden haben.
Leinenführigkeit bedeutet nicht „neben mir gehen“
Viele denken, Leinenführigkeit heißt, der Hund müsse immer neben oder leicht hinter dem Menschen laufen.
Aber das stimmt so nicht.
Leinenführigkeit bedeutet, dass der Hund die Leinenlänge verstanden hat – egal, wo er sich im Radius bewegt.
Meine Hündin Skadi ist dafür das beste Beispiel.
Sie ist gemütlich, eher langsam unterwegs und nutzt ihren Radius lieber nach hinten.
Manchmal läuft sie sogar acht Meter hinter mir – ganz entspannt.
Trotzdem ist die Leine locker, denn sie weiß genau, wann das Ende erreicht ist.
Ich weiß es übrigens auch – und bleibe dann stehen, damit ich sie nicht versehentlich von einer spannenden Schnüffelstelle wegziehe.
Leinenführigkeit heißt also nicht, dass der Hund „neben dir klebt“, sondern dass ihr euch im gleichen Rhythmus bewegt.
Vorne, hinten, rechts oder links – alles okay, solange die Leine nicht dauerhaft unter Spannung steht und der Hund dich nicht einwickelt.
Wie baut man Leinenführigkeit auf?
Der Aufbau beginnt in einer reizarmen Umgebung.
Je weniger Ablenkung, desto leichter kann der Hund lernen, was du von ihm willst.
Zuerst übe ich oft auf einer Wiese oder im ruhigen Wohngebiet.
Sobald das funktioniert, kommen kontrollierte Reize dazu – andere Hunde, Menschen, Geräusche.
Das Ziel: Der Hund bleibt auch unter Ablenkung ansprechbar und orientiert sich am Menschen.
Klappt das, darf die Leine auch mal länger werden. Mit Schleppleine lernt der Hund seinen Wohlfühlradius kennen.
Wenn man das über Wochen oder Monate konsequent übt, bewegt sich der Hund später auch im Freilauf freiwillig in diesem Radius – einfach, weil er gelernt hat, dass dort Verbindung besteht.
Ein schöner Nebeneffekt: Spaziergänge werden wieder gemeinsam.
Nicht der Mensch, der den Hund „festhält“, und nicht der Hund, der „voranprescht“.
Sondern zwei, die zusammen unterwegs sind – jeder mit eigenem Tempo, aber gemeinsamem Ziel.
Fazit
Leinenführigkeit ist kein Kommando, das man einem Hund „beibringt“.
Es ist ein Lernprozess – und ein Spiegel der Beziehung.
Ein Hund, der sich sicher fühlt, vertraut und versteht, was die Leine bedeutet, wird automatisch ruhiger gehen.
Fehler machen dabei alle – das gehört dazu. Wichtig ist nur, dass man sie erkennt und neue Wege findet.
Wenn Mensch und Hund lernen, miteinander zu kommunizieren, statt gegeneinander zu ziehen, dann ist das wahre Leinenführigkeit.
Und ganz ehrlich – wer einmal erlebt hat, wie es sich anfühlt, mit seinem Hund an entspannter Leine spazieren zu gehen, der will nie wieder anders.